Die Flutkatastrophe an der Ahr hat sie zusammengeführt: den am Niederrhein bekannten Bäckermeister Manfred Oomen und das Bäcker-Ehepaar Nadine und Dirk Josten aus Dernau. Mitte Juli 2021 trat keine 200 Meter von ihrem Ladenlokal entfernt, die Ahr über die Ufer, verwüstete ihre Bäckerei, zerstörte die teuren Spezialmaschinen und damit auch das Lebenswerk der Familie.
„Wie, es ist jetzt alles weg? Das kann es doch nicht gewesen sein“, waren die ersten Sätze von Dirk Josten, der einfach nicht glauben konnte, was er sah: Meterhohe Schlamm-Massen hatten sich in den Verkaufsraum und die Backstube seines Sohnes gewälzt, und bis zur ersten Etage fraß sich das Wasser gnadenlos ins Mauerwerk. Nadine und Dirk Josten wollten zuerst alles hinwerfen, erkannten dann aber, dass sie keine Alternative hatten. Ihre Selbständigkeit wollten sie nämlich auf keinen Fall aufgeben und das Familienerbe auch nicht. Zur selben Zeit am Niederrhein: Für Kosta Kiesel aus Grevenbroich war angesichts der schlimmen Meldungen aus dem Ahrtal sofort klar: „Ich muss dorthin und helfen.“ Er schloss sich einer Gruppe Freiwilliger an, die sich per Facebook zusammengefunden hatten. „Wir waren 125 Leute und sind mit zwei Reisebussen nach Dernau gefahren. Dort haben wir den Menschen bei Rückbau- und Sanierungsarbeiten geholfen. Wir waren mehrmals dort“, erzählt er. Irgendwann sprach ihn seine Mutter an, die damals die Vorster Filiale der Bäckerei Oomen leitete. Monika Kiesel hatte von ihrem Chef gehört, dass auch er gerne helfen wolle – und zwar ganz konkret einem betroffenen Bäckerkollegen aus Dernau. Der Plan von Manfred Oomen war, gemeinsam mit Bäckermeister Leo Terstappen aus Kaldenkirchen, der sein Ladenlokal geschlossen und einige Maschinen noch nicht verkauft hatte, Bäckerei-Equipment zu spenden.
Irgendwann hatte Kosta Kiesel Dirk Josten an der Strippe. „Es war eine komische Situation. Dirk war spürbar verdutzt darüber, dass jemand vom Niederrhein ihm plötzlich Hilfe anbot. Für uns war das allerdings selbstverständlich“, betont er. Der Dernauer Bäckermeister und seine Frau sagen heute: „Wir konnten damit erst einmal nicht umgehen. Wir haben immer versucht, alles selbst hinzubekommen, aber irgendwann mussten wir realisieren, dass wir wirklich Hilfe benötigen.“ Im Dezember fuhren Oomen und Terstappen nach Dernau, um sich ein Bild von der Katastrophe zu machen. Manfred Oomen erinnert sich: „Als wir am Ladenlokal ankamen, kippte Dirk Josten gerade einen Eimer Wasser auf die Straße und ich dachte: Sind wir etwa nicht willkommen?“ Heute können beide darüber schmunzeln, denn die Bäckermeister haben sich angefreundet. „Als klar war, dass wir Hilfe vom Niederrhein bekommen, haben wir oft geweint“, berichtet Nadine Josten heute noch voller Rührung.
Gegenbesuch aus Dernau in Brüggen
Mitte April reisten Nadine und Dirk Josten nach Brüggen, um dort im Burgcafe gemeinsam mit Manfred Oomen herauszufinden, welche Spezialgeräte sie am dringendsten benötigen. Es werden wohl eine Anschlagmaschine für den Teig, ein Teigkneter, eine Ausrollmaschine und eine Brötchenpresse werden. Die Geräte sind allerdings teilweise so schwer, dass der Fuhrpark der Bäckerei Oomen den Transport nicht selbst stemmen kann. Manfred Oomen rief kurzerhand die Bäcker- und Konditorengenossenschaft an, schilderte den Fall und erreichte, dass die Bäko die Speditionskosten übernimmt. Zu dem Treffen gesellten sich spontan auch der Mann der ersten Stunde, Kosta Kiesel, und seine Mutter Monika dazu. Und so konnten sich Helfer und Betroffene endlich persönlich kennenlernen.
Dabei erfuhren sie, dass sich die Jostens zunächst mit ihrer Hausrat- und Inventarversicherung über einen Vergleich einigen konnten und den Zeitwert ausgezahlt bekamen. „Uns war es wichtig, so schnell wie möglich mit dem Wiederaufbau anfangen zu können. Dafür haben wir das Geld verwendet. Jetzt wurden auch die Staatshilfen bewilligt, und wir hoffen, dass sie bald überwiesen werden“, so Nadine Josten.
Im Herbst möchten die Jostens wieder backen
Ehe das Gebäude wieder betriebsbereit ist, werden wohl noch fünf, sechs Monate vergehen. Als nächstes wird neuer Estrich verlegt. Da der aber mindestens sechs Wochen trocknen muss, können die Folgearbeiten wie Fliesenlegen und Verputzen erst danach stattfinden. Hinzukommt der Handwerkermangel. „Die haben damals alle Aufträge angenommen und hüpfen jetzt tageweise zwischen den vielen Kunden hin und her. Jeder möchte ja bedient werden“, schildert Nadine Josten die schwierige Situation. Dernau selbst erinnere immer noch an ein Kriegsgebiet. Viele Gebäude wurden abgerissen oder werden wieder aufgebaut. Das Dilemma: Manche Eigentümer, die teilweise gar nicht in Dernau leben, renovieren nicht, weil Mieter weggezogen sind und die Mieteinnahmen fehlen. „Dadurch bleiben manche Häuser einfach so liegen, wie die Flut sie hinterlassen hat“, erzählt Dirk Josten. Busse und Bahnen fahren zwar wieder, und die Straßen wurden provisorisch instandgesetzt. Straßenlaternen gibt’s aber noch keine, stattdessen nur Fluter.
Und doch bleiben Nadine und Dirk Josten optimistisch, dass sie ab Herbst wieder Brot, Brötchen und Hefegebäck backen können – gemäß der Familientradition ausschließlich im Holzofen. „Wir freuen uns auch darüber, dass unsere festangestellte Mitarbeiterin und die beiden Aushilfen, die im Moment woanders arbeiten, wieder zu uns zurückkommen möchten“, betont Nadine Josten. Das tröstet und erwärmt trotz allen materiellen Verlustes das Herz des Bäckerehepaares aus Dernau. Ebenso wie die Hilfe von Kosta Kiesel und seinen Mitstreitern, die zwischenzeitlich den Verein „Grevenbroicher Helfer mit Herz e.V.“ gegründet haben. Und der hat ein wunderbares Motto für sein Tun formuliert: „Die Wahrheit ist: Manche müssen da durch. Wir aber haben die Wahl, ob wir sie allein lassen oder lächelnd zusammen gehen.“